Treffen sich zwei, gewinnen Alle
Teil 6 – „Ich habe um mein Leben gemalt“
aufgeschrieben von Rose-Marie Hoffmann-Riem (BHFI)
(Dieses Interview als PDF lesen)
Manchmal ist es Schicksal. Zum Beispiel wenn sich ein Maler und Kunstbegeisterte kennenlernen und merken: Das passt. Unser Motto Treffen sich zwei, gewinnen Alle hat es noch nie besser auf den Punkt gebracht. Denn hier haben mehr als zwei Menschen zueinander gefunden. Aus drei Familien wurden eine, über die Grenzen von Kulturen und Generationen hinweg.
In unserer Kolumne greifen wir jeden Monat die Tradition des Geschichten Erzählens auf, denn sie funktioniert überall gleich – sie bringt Menschen zusammen. Unsere GelingensGeschichten machen Mut, denn sie bestätigen: Treffen sich zwei, gewinnen Alle!
Das Tandem
Am Tisch sitzen Hajar Issa mit Meinhard Weizmann, Geschäftsführer der Bucerius Law School, Sybille Marks, Initiatorin der Wentorfer Kulturwochen und Rüdiger Marks, der sich nach der späteren Einreise der Familie Issa intensiv um die Kinder kümmerte. Sie alle sind heute die deutsche Großfamilie um Hajar Issa.
Er war Mitglied der Union Syrischer Künstler und in der gesamten arabischen Welt hoch angesehen. Die Krönung seiner Tätigkeit erfuhr er 2009, als er von 100 Nominierten den „Addounia“ – das ist der Oscar im arabischen Raum – für seine Arbeit als Artdirector in Damaskus erhielt. Nach seinem letzten regimekritischen Film, der in der Türkei gedreht worden war, kehrte er nicht mehr nach Syrien zurück. Es drohte zum wiederholten Mal eine harte lange Haftstrafe. Zum Weiterlesen gehts hier lang.
Die Fragen
Herr Weizmann, Sie haben bei der Verabredung des heutigen Gesprächs Hajar Issa als Ihren Freund bezeichnet. Das ist ja schon ein Statement. Bitte lassen Sie uns doch zuerst etwas zu Ihrer Person wissen und dann dazu übergehen, wie Sie beide sich kennenlernten.
Meinhard Weizmann: Ich muss ein wenig ausholen. Nicht Herr Issa stand an erster Stelle, sondern einfach das Bedürfnis, sich für die Geflüchteten einzusetzen. Ich bin beruflich und privat viel gereist. Wo immer ich hinkam in der Welt, erfuhr ich eine herzliche Aufnahme. Das erleben Ausländer und Ausländerinnen, die nach Deutschland kommen, nicht immer so. „So wahnsinnig willkommen fühlt man sich nicht, wenn man zu Euch kommt“. Diesen Satz hörte ich mehr als einmal. Die Kultur eines offenen Hauses kenne ich sehr gut. Ich bin so aufgewachsen. Die Willkommenskultur, die im Herbst 2015 Deutschland erfasste, sprach mir aus dem Herzen. Anfang 2016 schloss ich mich dem Runden Tisch Asyl in Wentorf/Schleswig-Holstein (RTAW) an.
Etwa 120 bis 150 Geflüchtete, vorwiegend Männer, waren in der ehemaligen Schule im Fritz Specht Weg in Wentorf untergebracht. Jeweils zu fünft oder zu sechst in einem Klassenzimmer. Ungefähr die gleiche Anzahl an Ehrenamtlichen kümmerten sich um sie. Es gab unendlich viel zu tun. Mir wurde schnell klar, dass ich eine persönliche Beziehung zu einzelnen Personen besonders wertstiftend fand. Es ist ein erheblicher Unterschied, ob eine deutsche Patin oder ein deutscher Pate eine Sache für den Geflüchteten mit einer Versicherung regelt oder im Job Center Hilfestellung leistet. Manches passiert einfach nicht ohne die Vermittlung einer deutschen Begleitung.
Herr Issa, wie erinnern Sie das allererste Zusammentreffen zwischen Ihnen beiden?
Hajar Issa: Das war für mich sehr wichtig und ein Neuanfang. Ich kam im Mai 2015 nach Neumünster und hatte niemanden. Ich war ein fremder Mann in einem fremden Land ohne Perspektive. Immer habe ich eine kleine Wand zwischen mir und anderen gefühlt. Im November 2015 wurde ich nach Wentorf verlegt. Hier lernte ich Meinhard kennen. Ich fragte mich damals, warum bin ich so besonders für ihn? Er hat viel Englisch mit mir gesprochen und mir das Gefühl gegeben, in mir zuerst den Künstler zu sehen. Seit langer Zeit wieder – das hat mir sehr gut getan.
Meinhard W.: Der Sozialarbeiter der Unterkunft machte mich auf Hajar aufmerksam mit den Worten: „Hier ein sehr besonderer Mann. Er ist ein Künstler und braucht unbedingt Hilfe“. (macht eine kleine Pause) Ich besuchte ihn in dem Klassenzimmer, das er sich mit fünf anderen Männern teilte. In der Mitte saß Hajar vor einer Leinwand und malte. Es wird natürlich Tee angeboten und dann sitzt man als Fremder unter den Fremden in diesem Raum mit einer großen Tafel, der notdürftig zu einem Wohnraum eingerichtet wurde. Es stimmt, man muss sich da erst ein wenig überwinden. Aber es ist jedes Mal gut, sich darauf einzulassen und zu merken, da entsteht eine persönliche Beziehung. Wir haben uns mögen gelernt und haben uns vertraut gemacht, im Sinne des Kleinen Prinzen. Zusammen mit der Familie Marks entstand so etwas wie ein „Gemeinschaftsprojekt“ mit der Überschrift: Hajar soll hier ankommen, seine Familie um sich haben und als Künstler erfolgreich sein können!
Frau Marks, das war jetzt ein gutes Stichwort. Was ist Ihr Anteil, der Anteil Ihrer Familie an diesem „Gemeinschaftsprojekt“? Aber bitte auch erst etwas zu Ihnen als Person
Sybille Marks: Ich war dreißig Jahre Lehrerin in Mümmelmannsberg (Stadtteil von Hamburg mit einem sehr hohen Anteil an Menschen mit Migrationshintergrund). Wer sein Leben lang Kinder aus sehr unterschiedlichen Kulturkreisen unterrichtet, für den ist nur noch wenig befremdlich, ganz im Gegenteil. Ich habe immer auch ehrenamtlich gearbeitet und im Jahr 2006 die WENTORFER KULTURWOCHE ins Leben gerufen. Bei der Planung für das Jahr 2016 überlegten mein Mann und ich, ob nicht auch in der Unterkunft ein Künstler zu finden sei, den wir einladen können. In diesem Zusammenhang lernte ich Anfang 2016 Hajar Issa kennen. Erst glaubten wir es gar nicht, dass wir einen so berühmten Künstler in unserer Nähe hatten.
Hajar I: Ich habe damals Tag und Nacht gemalt. Viele Leute haben Farben für mich gespendet und nicht aufgehört. Es hat mich gerettet aus einem tiefen Loch. Keine Familie, keine Heimat, aber Farben und Malen. Die anderen Männer im Raum haben für mich gekocht und mich unterstützt. Das hat mir auch sehr geholfen.
Sybille M: In wenigen Monaten entstanden über 50 Bilder. Er malte seine Träume, Wünsche, Erinnerungen, den Verlust, die Zerstörung und immer wieder seine Kinder und seine Frau. Und dann hatten wir auch schon bald die erste Ausstellung. – es gab ja jede Menge Material (lacht ihn an dabei). Und seitdem geht es immer aufwärts
Hajar I.: (ergänzt und gestikuliert lebhaft) Ich bin jetzt hier und ich fühle mich wieder wie ein junger Mann von 20 Jahren. Ich bin in Deutschland und muss etwas machen. Ich bin ein Künstler und habe so viel Erfahrungen. Ich bin sehr stolz auf meine Kunst. Ich habe eine gute Hand und ich muss malen. Das ist meins!
Meinhard W.: Diese Energie zu sehen und mitzuerleben, ist einfach großartig. Außerdem und das ist das Tolle bei Hajar, man kann sich total auf ihn verlassen. Er hält sich an Absprachen, er kommt pünktlich, das sind wichtige Dinge, die gar nicht selbstverständlich sind, insbesondere, wenn man aus einem anderen Kulturkreis kommt.
Er hat sehr schnell begonnen, die deutsche Sprache zu lernen. Wir sind beide 48 Jahre alt, da lernt es sich nicht mehr so schnell. Aber er hat sich da reingebissen …
Hajar I.: (grinst ein bisschen und lässt dann die Katze aus dem Sack) B1 sowieso, B2 auch und C1 auch – heute fertig! Ja, C1.2. Ich warte jetzt auf das Ergebnis.
Alle freuen sich über diesen Fortschritt, großes Hallo, das war eine schöne Überraschung.
Frau Marks, der Kontakt zwischen Ihnen und Herrn Issa entwickelte sich in erster Linie durch seine Kunst als Maler. Sie organisieren Ausstellungen und managen ihn als Künstler. Würden Sie sagen, Sie sind auch befreundet?
Sybille M.: Genauso ist es und das geht bis hin zu unseren Familien. Es ist schon eine enge Bindung geworden. Das Schöne, das wollte ich noch sagen, ist diese Vertrauensebene zwischen uns. Hajar vertraut mir seine Kunst völlig an. Und ich weiß genau, wenn wir etwas hätten, ich könnte ihn anrufen, dann wäre er da. Das gilt auch für seine Frau. Das ist schon besonders. Der Zufall hat uns zusammengebracht und jetzt lernen wir ganz viel von Hajar, seiner Familie und umgekehrt. So ist es ein Geben und ein Nehmen. Das macht auch mich glücklich.
Ich bin froh, dass Meinhard den Behördenteil übernommen hat. Ich habe mir das nicht so schwer vorgestellt, eigentlich ist es nicht zu schaffen, wenn man keine Hilfe hat. Die ganzen Formulare – da muss man ja selbst als deutscher Mensch schon gucken, was wollen die eigentlich. Wenn ich mir dann vorstelle, ich müsste nach Syrien und sollte in einer anderen Sprache, in einem anderen Kulturkreis das alles leisten, das schafft ein Mensch gar nicht ohne Hilfe.
Hajar I.: Meine Familie hat ein Glück, großes Glück, dass wir Meinhard und Sybille kennengelernt haben. Das ist so viel Glück, wie niemand hat, den ich kenne. Das eine ist: Die beiden wissen, wie mein Leben in Syrien war. Das zweite: Meine Frau und ich sind mit Meinhard und Sybille eine Familie. Das ist unser Gefühl.
Unser Leben ist jetzt hier für unsere Kinder, für mich und meine Frau. Wenn ich meinen Sohn Alan frage, Syrien oder hier und er sagt, nein, nein, Deutschland ist meine Heimat. (Und er ergänzt sehr nachdrücklich) Die Kinder sind sehr glücklich hier.
Sybille M.: Als im November 2016 seine Frau Razan und die beiden Söhne Alan und Aram ankamen, waren wir alle am Flughafen. Hajar gehörte doch quasi schon zur Familie.
Meinhard W: Wir hatten eine Wohnung gefunden, das war wirklich perfektes timing. Dazu noch eine kleine Anekdote: Normalerweise erlebe ich sehr viel Bereitschaft bei öffentlichen Stellen, alles möglich zu machen, was einigermaßen vertretbar ist.
Ein einziges Mal nur sind wir bitter gescheitert und ich habe Hajar zum ersten Mal außer sich gesehen. Die Sachbearbeiterin im Job Center lehnte eine Wohnung ab, weil die Miete 50 Cent!! über dem gültigen Satz lag. Daraufhin der wütende Hajar. „Die hassen Flüchtlinge“. Die Vermieterin hat nicht lange gefackelt und nochmal 5 € nachgelassen und dann war die Vorschrift mehr als eingehalten. Aber ansonsten – die haben das auch nicht aus bösem Willen gemacht: sondern Vorschrift ist Vorschrift.
(zu Sybille Marks gewandt) “So ist unsere Rollenverteilung. Du bist hartnäckig hinterher, dass Hajar ausstellen kann und ich erledige die eher administrativen Sachen“.
Es sind aber immer unsere Erfolgserlebnisse, egal um was es geht. Das schafft Verbindung.
Sybille M.: Es ist schon toll und (zu Meinhard Weizmann): „Wir hätten uns sonst ja auch nie kennengelernt“.
Herr Issa, wie geht es für Sie weiter hier als Künstler? Welche Pläne haben Sie?
Hajar I.: Ich warte auf einen Bescheid, ob ich zum Masterstudium „Bildende Künste“ bei der HFBK (Hochschule für Bildende Künste Hamburg. Anm. d. Verf.) zugelassen werde. Ich habe schon mit zwei Professoren gesprochen. Sie haben mir gesagt „Deine Arbeit ist groß“.
Meinhard W.: Es wäre fantastisch, dieser Master an der HFBK. Sie sagten ihm aber, eigentlich gehörst Du hier nicht hin, Du bist ja schon so gut.
Hajar I.: (wieder mit dieser sprühenden Lebendigkeit) Wenn das gut läuft, ist es sehr schön, wenn nein, dann sehen wir nach neuen Perspektiven. Ich male weiter, arbeite weiter in meinem kleinen Atelier. Dieser Raum ist für mich wichtiger als das Wohnzimmer oder das Schlafzimmer. Es ist mein Reich. Ich arbeite einfach immer.
Sybille M.: Und jetzt kommt das Größte und Neueste: Hajar wurde eingeladen zur NordArt 2019* mit fünf großen Bildern im Format von 1,50 zu 1,50 m. Es haben sich 3000 Künstler beworben, 200 sind ausgewählt und er ist einer davon!
(Jetzt erlebe ich hautnah mit, wie es ist, wenn ein Erfolgserlebnis gemeinsam gefeiert wird. Die drei vergessen das Interview und diskutieren sofort die Transportfrage der Bilder. Das braucht jetzt erst einmal ein wenig Zeit. Dann geht die Aufmerksamkeit wieder zurück zu unserem Interview.)
Sie sind die erste ‚Großfamilie‘, wenn ich so sagen darf, die ich interviewe. Was gibt es an Gemeinsamkeiten noch über die Kunst hinaus, was Sie alle verbindet?
(Erst einmal Schweigen, man guckt sich gegenseitig an. Der Ehemann von Sybille Marks macht den Anfang.)
Rüdiger Marks: Wir treffen uns mindestens zwei Mal die Woche. Essen zusammen, kochen zusammen, gehen in den Zoo mit den Kindern, machen Ausflüge.
Wir haben uns viel um die Kinder gekümmert insbesondere in der Zeit, bis sie endlich in der richtigen Schule waren. Die Kinder sollten zunächst jeden Tag 20 km Fahrt auf sich nehmen, weil sie im zuständigen Kreis eingeschult werden mussten. Ich habe mir dann die Kinder geschnappt, bin zur Schule nach Reinbek und habe die Kinder dort angemeldet. Ich ließ mich einfach nicht abwimmeln. Alan, den Jüngeren, meldete ich in der Grundschule an und dann bin ich mit Aran rüber auf die andere Seite zu der anderen Schule. Der Schulleiter und die Schulsekretärin hatten schließlich ein Einsehen. Das sei zwar gegen die Vorschrift, aber vernünftig.
Meinhard W.: (an mich gewandt): Sie haben gefragt, was verbindet uns noch. Ich glaube Hajar und mich verbindet sehr stark die gleiche Lebensphase. Wir haben Kinder im gleichen Alter. Die Erwachsenen in dieser Großfamilie, wie Sie es vorhin genannt haben, sind sich alle sehr herzlich zugewandt. Die Kinder machen es auf ihre Weise. Zugewandt, nicht so nah, aber immer mit viel gegenseitigem Respekt. So lernt auch die nächste Generation, dass das Zusammenleben mit Menschen aus anderen Kulturkreisen unsere Normalität werden wird, wenn nicht schon vielfach so ist.
Eines ist mir auch noch sehr wichtig zu sagen, zum Abschluss. Hajar ist nicht der erste Geflüchtete, den ich betreue. Es gab andere, bei denen es sich auf der persönlichen Ebene weniger nah anfühlte. Das zu akzeptieren gehört auch dazu, wenn man sich bereit erklärt, eine Patenschaft zu übernehmen. Wenn man bewusst damit umgeht, erwischt man auch den richtigen Zeitpunkt zu wissen, wann die Betreuung in andere Hände übergehen kann oder auch einfach nicht mehr notwendig ist. Viele Geflüchtete gehen dann auch sehr selbstständig ihren Weg.
Vielen Dank für dieses Schlusswort. Vielen, lieben herzlichen Dank an Sie alle.
Das Interview wurde von Rose-Marie Hoffmann-Riem (BHFI) geführt. Wir danken Hajar Issa, Meinhard Weizmann, Sybille und Rüdiger Marks für den spannenden Einblick in ihre Patenschaft. Foto: © by Rose-Marie Hoffmann-Riem. Sie interessieren sich für eine Patenschaft? Dann schreiben Sie eine E-Mail an paten@bhfi.de.
**Die seit 1999 in einer ehemalige Eisengießerei der Carlshütte in Büdelsdorf stattfindende NordArt gehört zu den größten jährlichen Ausstellungen zeitgenössischer Kunst in Europa