Boxen oder Ballett? Boxen und Ballett!

Treffen sich zwei, gewinnen Alle

Teil 4 – Boxen oder Ballett? Boxen und Ballett!

aufgeschrieben von Rose-Marie Hoffmann-Riem.

(Dieses Interview als PDF lesen)

Treffen sich zwei, gewinnen alle ist nicht nur der Titel unsere Kolumne, sondern auch das Motto des Arbeitskreises Paten und Begleitung. Denn wir sehen jeden Tag, wie sehr sich Paten und Patinnen, Mentoren und Mentorinnen, Lotsen und Lotsinnen, Begleiter und Begleiterinnen, Weggefährten und Weggefährtinnen und natürlich ihre Mentees unterstützen, voneinander lernen und so aus Begegnungen GelingensGeschichten machen. Ein sehr gutes Beispiel dafür sind Axel und Abdul, die ihre gemeinsame Leidenschaft für Ballett entdeckten. Was das Ganze mit Fahrrädern zu tun hat und wie Ballett und Boxen doch zu einander gehören, lest ihr unserer heutigen Kolumne.

In unserer Kolumne Treffen sich zwei gewinnen alle greifen wir jeden Monat die Tradition des Geschichten Erzählens auf, denn sie funktioniert überall gleich – sie bringt Menschen zusammen. Unsere Geschichten machen Mut, denn sie bestätigen: Treffen sich zwei, gewinnen Alle!

Vorbemerkung der Interviewerin: Axel hatte mir schon angekündigt, dass Abdul sehr schüchtern sein kann in ungewohnter Umgebung, und so war es auch. Als das Gespräch sich aber auf den ersten gemeinsamen Ballettabend zubewegte, war das Eis gebrochen.

Das Tandem

Axel, den Leser*innen dieser Kolumne bereits aus dem Interview mit Shahabedin bekannt, ist seit mittlerweile vier Jahren ehrenamtlicher Flüchtlingspate.

Abdul, 17 Jahre, kommt aus Afghanistan und ist seit dreieinhalb Jahren in Deutschland. Er war, wie alle unbegleiteten Minderjährige zuerst in der Sengelmannstraße* untergebracht, bevor er vier Monate später in die Kollaustraße** umgezogen ist.

Die Fragen

BHFI: Und jetzt natürlich die Frage, die einfach alle potenziellen Pat*inn*en interessiert: Wie funktioniert denn so ein erster Kontakt?

Axel: Wir Ehrenamtlichen hatten in der Kollaustraße eine Fahrradwerkstatt ins Leben gerufen. Ich habe einfach mitgemacht, obwohl ich gestehen muss, dass ich keine Ahnung habe, wie man ein Fahrrad repariert. Es war insgesamt ein bisschen langweilig für die Jungs in der Kollaustraße, sie konnten nicht so viel tun. Da war die Fahrradwerkstatt einfach eine prima Sache. Ich dachte, das ist bestimmt eine gute Gelegenheit, die Jungs näher kennenzulernen und so war es dann auch. (Er sieht Abdul aufmunternd an und tatsächlich, er spricht, wenn auch ganz, ganz leise)

Abdul: Also, ich war mit ein paar Jungs, die haben sich für die Fahrräder interessiert und ich bin mitgegangen. Und dann habe ich Axel da gesehen.

Axel: Abdul war so ziemlich der jüngste in dieser Gruppe, er war erst 13 Jahre alt, also noch wirklich sehr jung. Es wurde aber schnell klar, dass er echt viel Ahnung von Fahrradreparaturen hat.

Abdul: Na, es war so – jeder durfte an einem Fahrrad reparieren und wenn es geklappt hat, dann durfte man es behalten. (jetzt kommt doch ein bisschen Stolz und damit auch ein wenig mehr an Lautstärke in seine Stimme).

Axel (ergänzt das mit einem Lachen): Das hat allen Jungs gefallen, das kann man sich lebhaft vorstellen. So war der Deal „repariere es und Du darfst es behalten“. Für Abdul und mich war es ganz gut, so was Technisches zusammen zu machen. Abdul konnte am Anfang natürlich noch überhaupt kein Deutsch und da hatten wir jedenfalls was zum „Anfassen“, eine gemeinsame Aufgabe und das war ganz gut. Abdul ist ziemlich schüchtern, (wendet sich mir zu) das merkst Du vielleicht auch gerade, deswegen war er auch immer sehr still. Dann haben wir unsere Namen gegenseitig aufgeschrieben. Ich glaube, er war einfach froh, dass er jemanden hatte, der sich für ihn interessierte. Und wir haben dann Sachen gemacht, mit denen wir ins Gespräch kamen.

BHFI: Was zum Beispiel?

Axel: Ich habe ihn gefragt, wo genau er herkommt. Afghanistan ist groß.

Hamburg, Lübeck, Kabul

Abdul: Dann habe ich mein Handy genommen und gezeigt. Ich habe in einem Dorf gelebt, so Entfernung wie Hamburg – Lübeck, nur zu Kabul und meinem Dorf. Die nächsten Nachbarn waren so weit weg, dass man sie gar nicht sehen konnte.

Axel: Später stellte sich heraus, dass er auch Autos reparieren kann. Er hat schon als Kind Toyotas repariert.

(Das war natürlich eine Steilvorlage, die nicht ungenutzt bleiben durfte. Und Abdul war sehr bereit, das zu erzählen.)

Abdul: Nein, mein Vater hatte keine Werkstatt. Ich habe schon früh angefangen zu arbeiten so mit 10 Jahren. In der Autowerkstatt habe ich ungefähr 1,5 Jahre gearbeitet. Bei uns geht man bis 10 Jahre zur Schule und dann geht man zur Arbeit. Bei mir war das so. Ja, also, es war einfach besser etwas zu lernen, als nur so rumzulaufen. Und deswegen habe ich das dann gemacht.

BHFI: Ich bin immer wieder überrascht, wie gut wir heute mit einander sprechen können. Und das nach dreieinhalb Jahren in Deutschland. Wann hast Du begonnen, die Sprache zu lernen?

Abdul: Vier Monate war ich in der Sengelmannstraße, da gab es keinen Deutschkurs, gar nichts. Dann in der Kollaustraße habe ich mit einem Deutschkurs angefangen, ungefähr zwei Monate habe ich das gemacht und danach kam die Schule und Nachhilfe mit einer Betreuerin.

Axel: Es war ein großes Glück, dass wir eine tolle Studentin als Nachhilfe gefunden haben. Das war über Schülerpaten e.V. Auch für die Vormündin habe ich den Kontakt hergestellt, damit er da auch jemand Vernünftiges bekommt. Alle, die jünger als 18 Jahre sind, bekommen einen Vormund.

Die Anhörung

Axel: Es gibt noch eine weitere sehr wichtige Sache, die wir zusammen gemacht haben. Das war vor zwei Jahren und zwar die Vorbereitung auf die Anhörung. Das war für Abdul sehr schwer. Seine Fluchtgeschichte ist sehr… (es fehlt das passende Wort). Es war gut, dass er es einmal erzählt hat.

Abdul: Da war ich sehr, sehr aufgeregt, als nicht klar war, ob es klappt. Ich habe erst für ein Jahr bekommen und jetzt habe ich für zwei Jahre eine Aufenthaltserlaubnis.

Axel: Dann wurde es leichter und wir haben einfach angefangen, freie Zeiten miteinander zu verbringen. Und es gab ein Ereignis, wo wir uns nochmal ein bisschen besser kennengelernt haben. (Zu Abdul gewandt) „Ich weiß gar nicht, ob Du Dich noch erinnerst, als wir zum ersten Mal im Ballett waren. Ich habe Dich anschließend in Deine Wohngruppe gefahren und da fingst Du zum ersten Mal an ganz viel zu reden“.

Abdul: Ja – es war etwas ganz Besonderes, ganz Neues für mich. Alles, die Musik, der Tanz, das Schauspiel, es war einfach toll.

Axel: Wir haben den „Kleinen Prinzen“ gesehen (jetzt strahlen beide bei der Erinnerung). Das Bundesjugendballett hat das aufgeführt.

BHFI: Wie bist Du auf die Idee gekommen, das Abdul Ballett mögen könnte?

Axel: Ich war mir tatsächlich nicht sicher. Ich dachte mir, ich nehme mal mehrere Jungs mit, sie waren zu viert, glaube ich. Ich habe es einfach mal ausprobiert. Alle haben es gemocht und ich hatte das Gefühl, dass Abdul am meisten begeistert war. Und wir haben es wiederholt und die Begeisterung lässt nicht nach.

Abdul: Das zweite Mal war da war ein Junge, der wie ein Pferd gelaufen ist.

Axel: Das war auch wieder das Bundesjugendballett und da war tatsächlich ein junger Tänzer, der die Rolle eines Dressurpferdes tanzte. Es hat sogar ein Fernsehreporter, zu dieser klassischen Melodie, den entsprechenden Text eingesprochen, wie bei Olympischen Spielen.

Ballett und… boxen?

BHFI: So – und jetzt müssen wir noch das Rätsel um das Boxen auflösen.

Abdul: Früher habe ich Thaiboxen gemacht, eineinhalb Jahre, aber ich war viel verletzt und dann habe ich mir gesagt, nein. Die anderen konnten es sehr gut, aber ich war einfach zu klein, die anderen waren älter als ich und da habe ich eben viel abbekommen. Ich war gut, aber die anderen haben einfach viel mehr trainiert, richtig Profi und da wollte ich lieber nicht mehr mitmachen. Ich habe ja Schule und Nachhilfe – somit nicht so viel Zeit. Jetzt mache ich normales Boxen, in meiner Gewichtsklasse und das macht einfach Spaß. Außerdem kriege ich nicht mehr so viel ab.

BHFI: Axel hat vorhin kurz erwähnt, dass Du jetzt in einer Jugendwohnung lebst…

Abdul: Ja, das ist jetzt nach meiner Zeit in einer Wohngruppe endlich eine Jugendwohnung. Hier kann ich selbst kochen und habe ein eigenes Zimmer. Kochen habe ich noch in der Kollaustraße gelernt. Da war ein Afghane, der hat uns gezeigt, wie man kocht, Reis macht und alles. Wir sind drei Leute in der Jugendwohnung, das ist sehr gut. Und einmal in der Woche kommt der Betreuer, wir sind schon ganz schön selbstständig.

BHFI: Gibt es denn ein Lieblingsgericht?

Abdul: Ja, das ist Kabuli Palau, das ist afghanischer Reis mit Rosen und Lammfleisch und Karate.

(Karate? Wir rätseln alle drei einen Augenblick, landen bei Gemüse, Granatäpfel, gelbe Farbe und dann haben wir es – Karotten!)

BHFI: Lass‘ uns noch mal einen Abstecher zur Schule machen. Du hast es geschafft, relativ schnell in eine Regelschule zu kommen und im letzten Jahr Deinen ESA (einfacher Schulabschluss/Hauptschule) gemacht.

Abdul: Also, es geht wirklich gut mit den anderen deutschen Menschen. (macht in Gedanken einen Abstecher nach Afghanistan) Bei uns dürfen nicht alle zur Schule gehen. Leute, die in der Stadt sind, die dürfen meistens in die Schule. Nicht so wie ich im Dorf gelebt. Man kann dort schon zu einer Art Schule, aber man muss viel Koran lesen und arbeiten. Hier ist das so anders. Hier darf ich mitentscheiden. Das ist sehr gut. Ich habe auch probiert den MSA (Mittlerer Schulabschluss) zu machen, aber es ist einfach noch ein bisschen zu schwer.

Axel: Wir wissen, dass er es jetzt nicht mehr schaffen wird. Die Schule ist bald zu Ende. Die meiste Zeit geht im Augenblick drauf zum Schreiben von Bewerbungen für einen Ausbildungsplatz.

Schnell und sicher

BHFI: Hast Du bestimmte Vorstellungen?

Abdul: (das kommt jetzt ganz schnell und sicher) Ja, hab‘ ich. Verkäufer, Autolackierer oder Service im Zug, bei der Deutschen Bahn. Das am liebsten, da lerne ich andere Städte kennen und komme ein bisschen rum in Deutschland. Zurzeit suche ich einen Praktikumsplatz.

Axel: Er würde von der Schule frei bekommen und könnte sich dann über einen Praktikumsplatz für die Ausbildung bewerben. Er hatte schon ein gutes Praktikum gemacht bei BMW und eine gute Bewertung bekommen.

BHFI: Darum haben Dich sicher viele beneidet

Abdul: BMW ist ein toller Laden! Eine Woche durfte ich nur gucken, wie das läuft und danach haben sie mir ein paar Sachen gegeben, die ich machen konnte. Im Ganzen waren es zwei Wochen, das habe ich freiwillig gemacht in den Sommerferien.

BHFI: Haben denn Deine Freunde, mit denen Du zusammen bist, haben die auch alle einen „Axel“. Oder bist Du der Einzige, der einen Paten hat, der Dich so begleitet?

Abdul: Also die Jungs, ich glaube schon, die haben auch einen „Axel“. Manche haben, manche haben nicht. Ein Freund von mir hat letztes Jahr einen Paten bekommen. Vorher hatte er keinen.

Paten und Patinnen: Die stabilen Anker

Axel: Abdul ist jetzt in der vierten Einrichtung. Und mit jeder Einrichtung ändert sich auch der Betreuer und ich bin derjenige, der quasi der „stabile Anker“ ist. Ich kann dann auch einem neuen Betreuer erzählen, was wichtig ist und was er für seine Arbeit auch wissen sollte. Erst mit einer Ausbildung ist es realistisch, eine eigene Wohnung zu bekommen, ohne das geht es eigentlich nicht. Aber er kann in einer Jugendwohnung bleiben, bis er 21 Jahre alt ist. Das ist auch gut.

Abdul: Ich würde mir wünschen, dass ich einen Ausbildungsplatz bekomme und dann möchte ich meinen Realschulabschluss machen. Ich will dann weitermachen, entweder Schule oder weiter Ausbildung und dann weiter entscheiden, welchen Weg ich gehe.

BHFI: Was habt Ihr als nächstes vor?

Axel: Jetzt gleich werden wir noch Bewerbungen schreiben, alles ist fertig bis auf die Anschreiben.

BHFI: Vielen herzlichen Dank. Ich drücke die Daumen für den Ausbildungsplatz. Danke für’s Erzählen und für die gute Geschichte, die anderen Menschen auch Mut machen wird, eine Patenschaft einzugehen.

*Sengelmannstraße war eine Erstunterkunft für unbegleitete Jugendliche

**EVE Erstversorgungseinrichtung für unbegleitete Minderjährige


Das Interview wurde von Rose-Marie Hoffmann-Riem (BHFI) geführt. Wir danken Abdul und Axel für den spannenden Einblick in ihre Patenschaft. Foto © by Rose-Marie Hoffmann-Riem. Sie interessieren sich für eine Patenschaft? Dann schreiben Sie eine E-Mail an paten@bhfi.de.

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