Treffen sich zwei, gewinnen Alle
Teil 8 – »Ein duales Studium wäre toll«
aufgeschrieben von Rose-Marie Hoffmann-Riem (BHFI)
(Dieses Interview als PDF lesen)
In unserer Kolumne Treffen sich zwei, gewinnen Alle, greifen wir jeden Monat die Tradition des Geschichten Erzählens auf, denn sie funktioniert überall gleich – sie bringt Menschen zusammen. Auch dieses Mal ist eine beeindruckende GelingensGeschichte zu lesen – von vielen Hürden, die genommen worden sind. Und jetzt? Längst sprechen wir nicht mehr von Sprachkursen, sondern von erschwerten Zugängen zum Arbeitsmarkt.
Das Tandem
Für das Interview sind wir verabredet im Mitri Saliba, ein kleines syrisches Restaurant in der Hamburger Innenstadt. Im Hintergrund läuft mehr oder weniger leise arabische Musik. Ein ganz stimmiges Ambiente für die nächste Stunde. Es ist noch Ramadan, wir bestellen also nur zweimal Tee und dann geht es los.
Ich bitte Katharina, zu beginnen. Wir haben Einverständnis darüber, dass sie in diesem Interview ihrem eigentlichen Namen nicht nennen wird.
Katharina: Ich habe einen russischen Vornamen, naja, nicht ganz, aberfast. Das hängt mit meiner Herkunft zusammen. Ich bin nicht in Syrien geboren. Mein Mann ist aber syrischer Staatsbürger, wir haben uns 1998 während des Studiums der Pharmazie kennengelernt. Drei Jahre später bin ich das erste Mal nach Syrien geflogen. Ich wollte die Heimat meines Mannes kennenlernen und konnte diesen Wunsch mit einem Praktikum verbinden.
Vier Monate später kehrte ich zurück, beendete mein Studium und bin dann Anfang des Jahres 2002 ganz nach Syrien übergesiedelt. Die syrischen Behörden wurden aufmerksam, weil mein Mann bis dahin noch nicht bei der Armee war. Er hatte zwar die Erlaubnis, im Ausland zu studieren, aber er musste anschließend zur Armee für zwei Jahre. Im Jahr 2005 kam dann unser Sohn zur Welt.
Christina Rahtgens (Ch.R.) : Die beiden hatten sich rasch selbstständig gemacht mit einer eigenen Apotheke. In der Zeit in der ihr Mann in der Armee war, hat Katharina die Apotheke alleine betrieben. Ohne lange zu fragen, kann ich das oder kann ich das nicht
Katharina: Es war schwierig, weil ich nicht so gut arabisch gesprochen habe, aber ich musste. Ich war jung, ich war stark und es hat geklappt. Als mein Mann zurück war, haben wir weiter aufgebaut und 2009, kurz vor Kriegsbeginn, hatten wir drei Apotheken
Eigentlich war zu der Zeit alles ok, eigentlich… und dann mussten Sie sich entscheiden, Syrien zu verlassen.
Katharina: Es war Krieg!! Keine gute Zeit, keine Sicherheit, besonders für mich, weil alle Leute denken, ich bin eben keine Syrerin. Mein Sohn war der Sohn einer Ausländerin. Für meinen Mann war es sehr schwierig, die ganze Familie ist in Syrien geblieben. Er ist der jüngste Sohn. Vielleicht wenn er keine ausländische Frau gehabt hätte (sie verstummt) …
Sie sind im Oktober 2015 in Deutschland angekommen und Anfang Februar 2016 konnten Sie endlich den Transfer in der Unterkunft in die Sophienterrasse bewerkstelligen.
Katharina (jetzt wieder gefasst): Wir waren zuerst in Berne und Niendorf Markt.
Die Unterkunft in Berne war wie, entschuldigen Sie bitte den Ausdruck, wie ein Konzentrationslager. Das war für mich sehr schwierig, ich konnte kein Deutsch. Ich habe Englisch in Syrien vergessen, ich habe diese Sprache nicht gebraucht. Ich habe dort nur arabisch gesprochen. Mein Sohn wurde in Berne sehr krank und niemand hat geholfen. Er war 10 Tage krank mit Fieber über 41 Grad. Ich bin Apothekerin, ich weiß, was das bedeutet. Wir haben sehr gekämpft um Transfer in ein anderes Lager. Und dann hat es geklappt, wir kamen in die Sophienterrasse.
Der Anfang
Frau Rahtgens, was gab den Ausschlag für Ihr Engagement in der Unterkunft Sophienterrasse?
Ch. R.: Ich bin relativ engagiert in der Kirchengemeinde Harvestehude. Der Kampf um die Unterkunft Sophienterrasse hat ja eine lange Geschichte. Drei Rechtsanwälte, die unbedingt verhindern wollten, dass eine Unterkunft in diesem Stadtteil entsteht. Ich glaube, in Reaktion auf dieses Verhalten, gründeten im Jahr 2014 engagierte Frauen um Hendrikje Blandow-Schlegel & Heidrun Petersen-Römer den Verein „Flüchtlingshilfe Harvestehude e.V.“. Zwei Jahre, bevor das Lager überhaupt eröffnet werden konnte, hatten wir schon einen Verein, der alles gerockt hat. Wir waren organisiert, wir hatten ja schon alle möglichen Sachen gesammelt, wir trafen uns regelmäßig und – wir warteten. Auf die Flüchtlinge. Als sie dann kamen, war es zuerst etwas mühsam
Wie kam das?
Ch. R.: Die Leiterin der Unterkunft (Anm.: f&w fördern und wohnen AöR) war für die Organisation verantwortlich. Der Verein wollte gleich loslegen. Aber nach kurzer Zeit hatte es sich „eingegroovt“. Im Februar 2016 war es endlich soweit. Die Leiterin hatte eine Familie für uns gefunden. Wir trafen uns im Büro der Leiterin. Sie machte uns miteinander bekannt
» Also hier Familie Rahtgens und Katharina und Familie, bitte sehr, nun legt mal los und zeigt doch mal, wie Ihr von Eurem Verein Euch das so vorstellt.«.
Da saßen wir in diesem Raum mit sieben Personen, wir hatten auch unsere Kinder mitgenommen. K. und ihr Mann konnten kein Deutsch und kaum Englisch, wir können kein Arabisch und kein Russisch. Wir entschieden, „nichts wie raus aus diesem Zimmer“.
Es war ein toller, sonniger Tag und wir versorgten uns erst einmal mit Kaffee.
Neben der Schule befindet sich ein Spielplatz, da haben wir uns hingesetzt. So konnten sich die Kinder auch miteinander beschäftigen. Wir vier also mit unserem Kaffee auf der Bank und haben irgendwie mit Händen und Füßen die Namen ausgetauscht, gefragt, wie das in dem Zimmer ist, gefragt, was braucht ihr usw. Zum Beispiel hatten meine Eltern Teppiche übrig, die haben wir dann zu ihnen gebracht oder Schüsseln und Tassen, was eben so fehlte.
Geschenke, die bleiben!
Katharina (unterbricht): Diese Teppiche haben wir bis heute. Harvestehude war nach Berne wie ein Wunderland. Wir verstanden sofort, dass die deutschen Leute uns unterstützen wollten. Und uns helfen, wie wir uns auf die Beine stellen können.
Ch. R.: Sie haben immer wieder gesagt, Berne war die Hölle. Und in der Sophienterrasse, da war unsere Hilfe ja nur ein Element von ganz vielen, die dann mehr Ruhe hereinbrachten. Aber je mehr Ruhe reinkam, desto klarer wurde die Situation. Es war zwar tausendmal besser als Berne. Aber auch hier teilten sie sich zu dritt ein Zimmer und das Bad mit einer anderen Familie.
Eigentlich war es nicht erlaubt, dass wir „unsere Familie“ einfach aufsuchten. Haben wir aber doch gemacht. Und das Tollste eben – am Ende hat Katharina für uns immer gekocht. (Die beiden freuen sich noch immer bei dieser Erinnerung) Wir saßen in dieser geteilten Küche mit noch einer kurdischen Familie und haben geschlemmt. Ach, es war toll.
Es gab aber auch den Teil, der uns alle gestresst hat. Wir wussten, diese Familie ist jetzt seit sechs Monaten in dieser Odyssee. Relativ schnell in sind wir dann zusammen in die Handelskammer. Wir hatten großes Glück. Die Mitarbeiterin wusste sehr gut Bescheid, auch darüber, wie mit den pharmazeutischen Abschlüssen umzugehen ist. Und – die Frau sprach Russisch, das heißt wir waren ganz schnell im Thema. Erst der Integrationskurs, dann Sprachkurs und dann die übersetzten Papiere an die entsprechende Stelle nach Bonn schicken. Das klang, als würde es ewig dauern und genau so war es am Ende auch. Jetzt stecken sie immer noch in den Sprachkursen und sind schon zweieinhalb Jahre hier.
Katharina: Wir haben zwischendurch immer Wartezeiten von vier bis fünf Monaten. Nicht immer gibt es einen Platz in den Kursen. Wir sind jetzt C1 Niveau (Anm.: Einstufung der Deutschkurse hier C1 für kompetente Sprachverwendung)
Ch. R.: Sie sind zwei vollständig ausgebildete Pharmazeuten. Natürlich müssen sie die Sprache perfekt lernen, eh sie in einer Apotheke Medikamente ausgeben. Aber in der Zeit könnten doch Sprache und Arbeit kombiniert werden. Wie so ein duales Studium eben funktioniert. Die beiden dürfen nicht so abgehängt werden aus dem Arbeitsleben. Wir sprechen viel Deutsch miteinander, aber das ist doch etwas anderes als die Anwendung im Beruf.
Wie funktionierte es denn mit der Anerkennung?
Ch. R.: Das war eine ziemlich zermürbende Zitterpartie für Katharina. Ihr Ehemann und der Sohn wurden sofort anerkannt. Sie waren ja syrische Staatsbürger. Sie aber musste über ein Jahr auf ihren Aufenthaltstitel warten.
Und dann endlich die Anerkennung
Katharina: Wir haben uns sehr gut vorbereitet, damit auch wirklich alles stimmt. Dann hatte ich im Anerkennungsverfahren eine offizielle Übersetzerin, die falsch übersetzte. Ich habe zur der Zeit ja schon Deutsch verstanden und ich wusste, dass sie falsch übersetzte.
Ch. R.: Wir wussten ja, wie wichtig übereinstimmende Angaben bei den behördlichen Interviews waren. Also quasi wortgleich die Flucht beschreiben. Aber mit einem Jahr Abstand war das gar nicht so einfach. Wir haben uns hinterher zusammengesetzt und ein Gedächtnisprotokoll von Katharinas geschrieben. Einfach für den Fall, dass es schiefgeht. Ich habe dieses gruselige Dokument noch auf meinem Computer. Immer wieder habe ich ihr gesagt: „So wird hier niemand abgeschoben“ und am Ende hat es auch gestimmt.
Katharina: Jetzt ist alles gut. Aber ein Jahr Unsicherheit für mich, für mein Kind und meinen Mann.
Ch.R.: Ich bin so begeistert über die Tatkraft von Katharina. Wie sie sich durchkämpft. Sie hat eine Wohnung gesucht und sie gefunden. Wo ich ja hätte am meisten helfen müssen in meinem Selbstverständnis als Patin, das hat Katharina komplett alleine fertiggebracht.
Wie ist Ihnen das gelungen?
Katharina : Ich war im Kurs B1 und ich habe jeden Tag vier Stunden im Internet gesucht. Wir hatten mit Christina unsere Lebensläufe bearbeitet und ich bin zu den Besichtigungen immer mit unseren Lebensläufen gegangen. Ich glaube, das hat viel geholfen. Die Vermieter wussten, dass wir studiert haben und was die Hintergründe der Flucht waren. Das war sehr gut.
Ch.R.: Eigentlich waren die Lebensläufe ja für die Jobsuche gedacht, weil wir annahmen, es ginge alles viel schneller. Wir haben auch viel unterstützt, damit sie in die deutsche Sprache hineinkommen. Am Anfang, als Katharina noch nicht so gut Deutsch konnte, da haben wir uns bei mir getroffen. Wir haben dann Lieder übersetzt. Ich habe die Lieder ausgesucht und dann haben wir uns gemeinsam an die Übersetzung gemacht. Das war schön, hat Spaß gemacht und wunderbar geklappt. Aber heute liest Katharina schon Bücher auf Deutsch, Lieder übersetzen braucht sie heute nicht mehr.
Sie haben eine Wohnung gefunden. Sie kommen gut mit der deutschen Sprache klar, Ihr Sohn ist angekommen in der Schule. Wie geht es bei Ihnen beruflich weiter?
Ch. R.: Wir hoffen jetzt auf ein Praktikum. Katharinas Mann ist jetzt durch mit C 1, aber es gibt keine Antwort von Bonn für die Zertifizierung. Also kann er nicht einmal ein Praktikum machen. Aber sie müssen irgendwie in Kontakt mit ihrer Berufswelt kommen.
Natürlich darf man nicht unterschätzen, was auch während der Wartezeiten alles zu tun ist. Schmackhaftes Essen zubereiten für sehr wenig Geld. Möbel ranschaffen. Die haben ja Kanäle gefunden. wo wir gar nicht mehr helfen können. (zu Katharina gewandt). Wie ihr da über Ebay Kleinanzeigen perfekte Wohnungseinrichtungen binnen kürzester Frist herbeigeschafft habt, das ist ja harte Arbeit.
Sie wohnen ja jetzt nicht mehr so „Tür an Tür“. Wie halten Sie nach dem Umzug Kontakt miteinander?
Ch. R: Wir haben ganz schnell eine WhatsApp-Gruppe erstellt, zuerst die Erwachsenen und später auch die Kinder. Früher konnten wir abends ganz schnell mal rüber und haben zusammen gegessen. Wenn die Kinder keinen Bock mehr hatten, sind sie halt nach Hause gegangen.
Katharina: Ja, das war gut, jetzt ist es ein bisschen schwieriger, aber wir sind immer im Kontakt. Das wird auch so bleiben.
Dann drücken wir jetzt die Daumen, dass aus Bonn endlich gute Nachrichten kommen. Vielen Dank, dass Sie beide hier waren.
Das Interview wurde von Rose-Marie Hoffmann-Riem (BHFI) geführt. Wir danken Christina Rahtgens und Katharina für den spannenden Einblick in ihre Patenschaft. Foto: © by Christina Rahtgens . Sie interessieren sich für eine Patenschaft? Dann schreiben Sie eine E-Mail an paten@bhfi.de.