Treffen sich zwei, gewinnen Alle
Teil 7 – „Sie war die Alpha-Frau in ihrem Frauenclan, gebildet, emanzipiert und unglaublich stark!“
aufgeschrieben von Rose-Marie Hoffmann-Riem (BHFI)
(Dieses Interview als PDF lesen)
In unserer Kolumne Treffen sich zwei, gewinnen Alle, greifen wir jeden Monat die Tradition des Geschichten Erzählens auf, denn sie funktioniert überall gleich – sie bringt Menschen zusammen. Was dieses Mal anders ist: Eva Klöpper berichtet aus der Perspektive einer ehemaligen Patin und lässt ihre Beobachtungen, ihre Gedanken und ihre Gefühle in unserem Gespräch noch einmal Revue passieren.
Die Patin
Eva K.: Wenn ich zurückdenke – die prägendste Erfahrung der Patenschaft waren die Menschen, die ich neu kennenlernte und die mich sehr beeindruckten. Ich bin quasi eingetaucht in eine andere Kultur. Meine Rolle als Mittlerin zwischen zwei Welten war eine unglaubliche Bereicherung.
Aber erst einmal kurz zu meiner Person, ich bin Jahrgang 1985 und arbeite als Senior Industry Manager Retail bei Google. Drei Monate nach der Geburt meiner Tochter übernahm ich eine Patenschaft. Ich wollte die Elternzeit nutzen, um mich dem Patenamt widmen zu können. Das war ziemlich genau vor drei Jahren
Sie haben sich bei Flüchtlingshilfe Harvestehude e.V. engagiert?
Eva K.: Ja, eine Freundin nahm mich mit zu einem Informationsabend von Hendrikje Blandow- Schlegel (Vereinsvorsitzende). Ich war so beeindruckt von dem Engagement der Beteiligten, blieb dran und besuchte regelmäßig den Patenstammtisch. Dadurch war ich gut vorbereitet und sensibilisiert für Themen, die auf eine Patin zukommen können. An einem der Abende wurde eine neu in der Unterkunft angekommene Familie vorgestellt. Sie wurde beschrieben als eine „Frauengruppe aus Afghanistan“, eine Mutter mit ihren drei erwachsenen Töchtern und deren Kinder. Das klang sehr besonders. Die Fluchtgeschichte der Frauen war so hart und gleichzeitig so berührend, da musste ich einfach sofort zusagen.
Beschreiben Sie doch bitte den ersten Kontakt zwischen Ihnen.
Eva K.:Wir arrangierten ein Treffen im Flüchtlingsheim in Harvestehude. Ich kam mit Clara auf dem Arm…
Sie hatten Ihre Tochter dabei?
Eva K.: Ich hatte meine Tochter immer dabei und ich glaube, dass Clara ein wichtiger Türöffner in diese afghanische Familie war. Eine der Schwestern wurde mir als die Hauptansprechpartnerin genannt. Als ich ankam, saß sie auf der Treppe und ich stellte mich auf Englisch vor, was für sie überhaupt kein Problem war. Uns beide verband auf Anhieb ganz viel weibliche Solidarität. Sie bezeichnete mich von Anfang an als „Schwester“. Wir waren im gleichen Alter und sind uns sehr auf Augenhöhe begegnet. Auch wenn wir aus völlig unterschiedlichen Kulturkreisen kamen, hatten wir das Gefühl von Verbundenheit und gemeinsamer Wellenlänge.
Relativ schnell wurde mir deutlich, welche Stellung sie in der Familie einnahm. Ihr war die Rolle des Familienoberhauptes zugeordnet, sie war die Alpha-Frau in ihrem Frauenclan, gebildet, emanzipiert und unglaublich stark. Später erfuhr ich, wie hart sie dafür gekämpft hatte. Zwangsheirat mit 13 Jahren, ein Jahr später die Geburt ihres Sohnes, selbstbestimmte Scheidung, Abschluss eines Studiums und dann eine Anstellung bei einer amerikanischen NGO in Kabul. Daher auch die guten Sprachkenntnisse. Diese Arbeit wurde dann leider auch zum Verhängnis und zum Fluchtgrund für die ganze Familie.
Die Patenschaft
Wie haben Sie unterstützen können und was war insbesondere am Anfang wichtig?
Eva K.: Die ersten Monate haben wir uns fast täglich gesehen, zumindest aber per Whatsapp geschrieben.
Für den Anfang ist das natürlich großartig, wenn es eine gemeinsame Sprache gibt.
Eva K.: Ich habe oft gedacht, wir hätten viel mehr Deutsch reden müssen. Sie konnte sich sehr gut auf Englisch verständigen. Das war natürlich ein Entschleuniger, schnell Deutsch zu lernen. Aber es gab einfach so viel zu tun. Wir waren froh um die gemeinsame Sprache.
Der Sohn musste eingeschult werden, die Mutter betreut und ärztlich versorgt werden. Abgesehen von den ganzen bürokratischen Formalien, die so zeitgebunden waren und vermutlich auch immer noch sind. Es waren sehr intensive Monate, quasi Vollzeit, mit Baby zu jeder Behörde. Dann das Asylverfahren, auf das wir uns sehr gut vorbereiteten, also das ganze Programm.
Es war eine eindrückliche Erfahrung, das Asylverfahren zu begleiten. Wir beide, meine „Schwester“ und ich waren inzwischen ein gut eingespieltes Team. Sie beantwortete die Fragen in ihrer Muttersprache, anschließend übersetzte der amtliche Übersetzer ins Deutsche. Ich war mit der Geschichte der Familie so vertraut, dass ich genau wusste, an welchen Stellen noch einmal nachgehakt werden bzw. korrigiert werden musste.
Wir in unserem sicheren Deutschland machen uns keine Vorstellungen, welcher Gewalt und Unterdrückung Frauen in Afghanistan ausgeliefert sind. Die Verfolgung durch die Taliban, die Drohungen mit Mord und Steinigung. Für die Mutter war es schwer, alles wieder anzuhören; sie hat sehr geweint. Zum Glück war alles gut dokumentiert auf dem geretteten Handy meiner „Schwester“. Es war den Taliban nicht gelungen, sie zum Schweigen zu bringen. Und am Ende hat es geklappt, alle, die ganze Familie, haben das Verfahren mit einem positiven Bescheid überstanden.
Die Motivation
Wie haben Sie es denn geschafft, diese ganzen furchtbaren Erfahrungen mit anzuhören und trotzdem stabil zu bleiben?
Eva K.: Die ganze Flüchtlingsdebatte ist mir von Anfang an sehr nah gegangen. Meine Eltern haben mich im Verständnis der christlichen Nächstenliebe erzogen. Diese Wertehaltung ist mir bis heute wichtig. Trotzdem war auch bei uns spürbar, wie neben der Euphorie die ersten Ängste deutlich wurden, die gar nicht so richtig greifbar waren. Ich fasste den Entschluss, nicht nur weiter darüber zu reden. Ich wollte meine eigenen Erfahrungen machen. Mein im christlichen Glauben verwurzeltes Bild von Menschlichkeit und mein Wille, einen Beitrag zu leisten, haben mir geholfen, dabei zu bleiben und mich nicht davon zustehlen. Ich hätte es überhaupt nicht fertiggebracht, die Familie im Stich zu lassen.
Gab es denn auch die eine oder andere Irritation zwischen Ihnen, kulturell bedingt oder einfach unterschiedliche Verständnisse, wie Alltag in Deutschland funktioniert?
Eva K.: Es gab schon Erfahrungen, wo ich dachte, wow, das ist hier aber nicht „Wünsch‘ Dir was“. Ich erinnere mich, als wir für den Sohn ein Fahrrad besorgten. Leider war es rosa lackiert.
»Sorry, aber ich fahre kein Mädchenfahrrad, das will ich nicht haben!«
Hätte man es einem deutschen Jungen verübelt? Ich konnte mich in ihn hineinversetzen, aber es war ein Spagat. Boxunterricht ist natürlich prickelnder als zur Nachhilfe zu gehen, um ein zweites Beispiel zu nennen. Unser Sozialsystem als ein System auf Gegenseitigkeit begreifbar zu machen, ist eine der schwierigsten Aufgaben in einer Patenschaft. Die Familie konnte es teilweise gar nicht fassen, welche Versorgungen sie in Anspruch nehmen konnten.
Meine starke, schöne „Schwester“, deren einziges Bestreben war, die Familie unbeschadet in ein sicheres Land zu bringen. Sie musste diese Rolle übernehmen, die in ihrer Kultur eigentlich dem Mann zugeordnet ist. Sie konnte sich keine Gefühle erlauben, die nicht dem Wohle der Familie dienten. Einmal wollte sie etwas für sich selbst tun und sich jetzt endlich ein Muttermal entfernen lassen. Ich musste auch ihr deutlich machen, dass unser Sozialsystem nicht für Schönheitsoperationen aufkommt, sondern einspringt, wenn Menschen krank sind.
Ich war mir bis zum Ende der Patenschaft nicht sicher, wie unsere umfängliche Aufnahme und Unterstützung schlussendlich bei der Familie angekommen ist. Es gab Phasen der unendlichen Dankbarkeit. Dann aber auch Tendenzen einer Anspruchshaltung, die mich verwundert haben und zu einigen Diskussionen zwischen uns führten. Auf diesem Grat sind wir getanzt, all die Monate.
Wie lange haben Sie die Familie betreut?
Eva K.: Die Patenschaft dauerte ungefähr ein Jahr, die ersten vier Monate davon waren ganz, ganz intensiv. Als ich nach meiner Elternzeit wieder in den Job einstieg, hatte ich nicht mehr die zeitliche Ressource, mich täglich per whatsapp zu melden und mich zweimal die Woche persönlich zu treffen. Durch meinen Job in Vollzeit, mit einer gerade eingewöhnten Tochter in die Kita. Wir haben uns noch etwa ein halbes Jahr weiter gesehen. Aber natürlich nicht mehr in dieser Taktung. Heute haben wir keinen Kontakt mehr.
Und dann?
Sie haben mir in unserem Vorgespräch erzählt, dass Sie quasi ohne Ihr Wissen als Patin „ausgetauscht“ wurden gegen jemanden, der mehr Zeit hatte als Sie?
Eva K.: Ja, das stimmt, als ich nicht mehr so viel Zeit hatte, bat sie die Heimleitung um einen neuen Paten/eine neue Patin. Ich war zuerst sehr vor den Kopf gestoßen und persönlich enttäuscht. Wir haben uns ausgesprochen und mir wurde deutlich, dass ihre Entscheidung nichts mit mir als Person zu tun hatte. Aus ihrer Sicht musste sie so handeln. Als Verantwortliche dieses Frauenclans hatte sie eines ganz, ganz tief verinnerlicht:
«Von meinen Entscheidungen hängt es ab, wie die Familie überlebt, immer, überall!«
Ich hatte jetzt weniger Zeit. Sie brauchte aber jemanden, der ihr half, eine Wohnung zu finden etc. Heute verstehe ich diese Haltung sehr viel besser als damals. Und ganz fett gedruckt: Viele Paten und Patinnen müssen lernen damit umzugehen, dass ihre Betreuten selbstständig werden und ihren eigenen Weg finden, der möglicherweise nicht unbedingt von Dankbarkeit geprägt ist. Es ist extrem wichtig, dann eine Haltung zu finden und zu sagen
„Ich habe Dich ein Stück begleitet und es ist toll, dass Du jetzt alleine klarkommst».
In dieser Situation wurde ich außerdem gut aufgefangen durch die Pateninitiative und konnte sehr gut meinen Frieden damit machen.
Ihr persönliches Fazit für dieses außergewöhnliche Jahr, wie würden Sie es beschreiben?
Eva K.: Diese Patenschaft hat mich ganz enorm sensibilisiert. Für Fluchtursachen, die Menschen dazu zwingt, ihre Heimat zu verlassen, nicht zu wissen, ob sie überleben und wo sie ankommen werden. Wenn Fernsehbilder abgelöst werden durch ein reales Schicksal, das Gesichter hat, Namen trägt. Wie ich als „Schwester“ in den Familienclan integriert wurde, bekocht wurde, sie Clara quasi als ihr nächstes Kind „adoptierten“.
Und eine weitere Erkenntnis – ich bin unglaublich stolz, in diesem Staat Deutschland zu leben. In dieser Demokratie mit dieser Kanzlerin, in diesem Sozialsystem, ich bin so stolz, Deutsche zu sein. Ich war und bin immer noch zutiefst beeindruckt, von der Anteilnahme und der Unterstützung insbesondere in den Ämtern. Wir sind nie auf Angestellte, sondern immer auf Menschen!! gestoßen, die uns geholfen haben. Tolle Menschen. Das hat mich ganz nachhaltig beeindruckt.
Das war ein wunderbares Schlusswort, ganz, ganz herzlichen Dank für dieses Gespräch.
Das Interview wurde von Rose-Marie Hoffmann-Riem (BHFI) geführt. Wir danken Eva Klöpper für den spannenden Einblick in ihre Erfahrungen. Foto: © by Eva Klöpper. Sie interessieren sich für eine Patenschaft? Dann schreiben Sie eine E-Mail an paten@bhfi.de.